„Unser“ Schloss in Schmalkalden

(geschrieben von Erna, Selmas älterer Schwester)

Es war 1928. Mein Vater derzeit Regierungs-Baurat (damals noch Baumeister) in Glatz in Schlesien, ließ sich nach Schmalkalden versetzen, da die Hochbauamtsstelle gerade frei wurde. Etwa ein halbes Jahr brauchte er, um eine einigermaßen passende Wohnung zu finden, denn wir bestanden aus acht Personen. Zwei Jahre bewohnten wir die obere Etage der „Raiffeisen Bank“ am Neuen Teich. Alle denkmalgeschützten Gebäude unterstanden dem Hochbauamt, so auch das Schloss. Die große Wohnung mit Sicht auf den Entersteich oder Schlossteich war Forst- Dienstwohnung; der jetzige Rosengarten gehörte dazu.

Der damalige Oberforstrat P. wurde pensioniert und zog nach Berlin. Als ein Oberbaurat von Kassel (wir waren ja Regierungsbezirk Kassel) mit meinem Vater die Wohnung besichtigte, war ich dabei. Jetzt kann ich es ja sagen. Die Räume befanden sich in einem fürchterlichen Zustand. In der Küche hing die Gosse an verfaulten Holzleisten. Alles vergammelt, die Fensterbretter, Bodenleisten und so weiter. Es stank. Die Teppiche in den Zimmern mussten herausgerissen werden, dass uns die Haare hoch standen. Drei Förster-Dackel hatten das Ihrige dazu beigetragen. Unter den Tritten vor den Fenstern lag der Kehrdreck von Jahren; die Wände schwarz mit den Abdrücken der Gehörne. Es war wohl nie etwas renoviert worden. „Tja“, sagte der Oberbaurat, „das müssen wir leerstehen lassen, die Regierung hat kein Geld.“ Mein Vater meinte: „Ich würde die Wohnung gerne übernehmen, aber die Löcher in den Fußböden müssten wenigstens repariert werden.“ Siebenhundert Reichsmark stellte Kassel schließlich zur Verfügung. Damit wurden ein Teil der großen Diele (jetzt vor dem Eingang zum Riesensaal) sowie der lange Gang zwischen den Zimmern ausgebessert. Alles sonstige, die totale Überholung der Wohnung mit Weißanstrich und Fußbodenbemalung des Weißen Saales, hat mein Vater bezahlt.

Der Weiße Saal nach der Renovierung durch meinen Großvater Ernst Fenner. Dort wurde Weihnachten mit einer mehr als vier Meter hohen Tanne gefeiert.

Wir hatten viele geerbte und alte Möbel, die wunderbar in die Räume passten, aber es war sehr kalt. Zwei Dauerbrandöfen, ein Drei-Etagen Eisenplattenofen (den ich leider in Ofen- und Ofenplattensammlung in der Exerzierhalle nicht fand) und noch kleine Öfen, schützten uns. Vom Weißen Saal der riesige Rundofen mit circa einem halben Zentner Fassungsvermögen steht in der Sammlung in der Exerzierhalle.

Der Rosengarten war wohl früher schon einmal als Renaissance-Garten angelegt worden. Davon zeugten ein großes Buchsbaum-Rondell und verschiedene Buchsbaumheckenreste. Aber ein Baumkenner, ein Förster, muss den Garten bepflanzt haben. Drei Sorten Flieder, alt und hochgewachsen, zwei Fichten, zwei Silbertannen, fünf Sorten Haselnüsse, ein Riesenbusch Schneeballen, buntblühende Heckengewächse, viele Sorten Stauden-Herbstastern, Zwetschen, Kirschen, Beerenhecken, ein reines Paradies. Und Wein um die Haustür zum Garten, worin die Amseln nisteten. Viele Vogelarten fühlten sich wohl. Die drei Akazien auf der Kleinen Pfalz (inzwischen nur noch eine) und Pappeln wurden von Schwarz- und Buntspechten behämmert. Meisen, Finken, Dompfaff, Kreuzschnabel und andere mehr nisteten hier oder besuchten den Garten. Auf dem Boden wohnte ein Uhu. Er wurde aus Aberglauben vom damaligen Museumsführer erschlagen. Käuzchen nisteten im Turm der Schlosskirche. Unzählige Mauersegler umkreisten kreischend Stadt und Schloss, wo sie ihre Nester hinter den Regenrinnen unter dem Dach und in Mauerritzen hatten. Abends umhuschten uns im Garten die Fledermäuse. Sie wohnten in den damals als „Unterirdischer Gang“ bekannten Räumen und Gängen unter Großer Pfalz und Boden.

Dann kam der neue Staat, die DDR. Die neue Museumsleitung war kein Hüter, sondern ein Vernichter aller dieser Schönheiten. Das Dach wurde ausgebessert, teilweise neu gedeckt und bis an die Regenrinnen dicht gemacht. Kein Mauersegler konnte darunter schlüpfen und ein Nest bauen. Der Garten fiel der totalen Rodung zum Opfer. Im Sommer, wo alles herrlich blühte, mussten Studenten jede Wurzel ausrotten. Auch heute noch ist die Schlossumgebung entsetzlich kahl.