Seltene Mitbewohner

Seltene Mitbewohner

Als kleines Mädchen hatte ich immer furchtbare Angst, wenn es dunkel wurde. Meinem Bruder machte es ein diebisches Vergnügen, diese Angst schön zu schüren, und er erschreckte mich, wo er konnte. Obwohl die Dunkelheit ein Greuel für mich war, so hatte ich doch keine Angst vor den Tieren, für die die Nacht der Tag war.

Drei von uns fünf Geschwistern schliefen, bis wir junge Mädchen wurden, in einem großen Schlafzimmer zusammen, und zwar meine viereinhalb Jahre ältere Schwester und der ein Jahr ältere Bruder Karl. Die Fenster blieben meist nachts offen und gegenüber erhob sich der Kristallturm. Oben im alten Gebälk dieses Turmes wohnte viele Jahre lang ein Käuzchen, das ab und zu Besuch bekam. Wir warteten lange darauf, dass der Besuch als Gefährte bei unserem Käuzchen bliebe, aber immer saß es alleine auf einem Balken. Flog es nachts dann auf Futterjagd, wurde es oft von einem zweiten Kauz begleitet. Da wir alte Bekannte waren, setzte sich das Tier öfter auf die Fensterbank unseres Schlafzimmers. Nie flog es aber rein oder erschreckte uns durch sein Gekrächze. Es fiepte nur leise vor sich hin und guckte sehr neugierig in unsere Betten. Dagegen waren die hunderte von Fledermäusen, die an dem Dachgebälk auf den Boden des Schlosses hingen und an der Decke des unterirdischen Gangs unter der Pfalz, mutiger. Lautlos flogen sie zum Fenster raus und rein, und wenn sie zu dicht an uns herankamen, spürte man einen zarten Lufthauch.

Der Pulverturm und Schloß Wilhelmsburg

Ganz am Anfang unseres Wohnens im Schloss hatte uns der Vater mal eine Fledermaus, die er vorsichtig vom Gebälk abpflückte, ausführlich gezeigt. Seitdem hatten wir große Achtung vor diesen Tieren und störten sie ganz selten in ihrem Tagesschlaf. Nämlich nur dann, wenn Freunde kamen. Dann gingen wir mit ihnen auf den Boden und klatschten in die Hände. Sofort lösten sich sämtliche Fledermäuse und umschwirrten uns erschreckt, um sich dann aber nach kurzer Zeit schnell wieder zum Schlafen zu hängen. Diese und ähnliche Vorführungen verfehlten nicht ihre Wirkung auf unsere Freunde. Die Fledermäuse hielten uns Fliegen und ganz besonders die lästigen Mücken fern und wir wussten daher fast nicht, wie eine Mücke aussieht. Da in dem alten Gemäuer von Mai bis September die Mauersegler nisteten, also in der Mückenzeit, und die Mauersegler unausgesetzt ihre Jungen füttern mussten, umflogen sie den ganzen Tag mit Geschrei das Schloss und ließen keine Mücke übrig. Wir konnten daher ungestört im Garten unter den vielen Nussbäumen Kaffee trinken und abends mit Nachbarn gemütlich ein Schwätzchen halten.

Der Kristallturm wurde viel von uns zum Spielen benutzt. Vater hatte die morsche Tür durch eine neue ersetzen lassen und abgeschlossen. Der Schlüssel lag für uns griffbereit. Wir schlossen auf und hinter uns wieder zu. Gleich hinter der Tür fing die kleine Steinwendeltreppe an sich emporzuwinden, und es war, wenn die Tür zu war, stockdunkel. Erst etwas höher, und ab da mehrmals, war ein schmaler Spalt in die Mauer gelassen, die

Schießscharten. In der halben Höhe des Turms traten wir durch eine ovale kleine Öffnung in den ersten etwa fünf mal fünf Meter großen Raum. Der wäre ganz uninteressant für uns gewesen, wenn nicht im Steinfußboden eine kleine Falltür vorhanden gewesen wäre, die in den untersten Raum, ein Verlies, führte. Eine Treppe war nicht vorhanden und so mussten wir uns am Seil etwa sechs Meter herablassen, bis wir den Boden des Kellerraums erreicht hatten. An den Steinwänden, die langsam zerbröckelten, waren noch große dicke Eisenringe eingemauert und wir vermuteten, dass hier früher die Gefangenen festgekettet wurden. Der Raum war feucht und unheimlich und vergebens klopften wir öfters die Wände ab, um einen Schatz zu finden. Aber leider hatten wir damit, wie auch an anderen Suchplätzen, kein Glück. So legten wir uns selbst einen Schatz an, bestehend aus lauter sehr wichtigen Kleinigkeiten wie Bändern, glitzernden Postkarten, altem Geld.

Stiegen wir nun die Wendeltreppe ganz zu Ende hoch, kamen wir links in den letzten und obersten Raum, der wesentlich heller war als der untere. Hier befanden sich mehr Schießscharten und das Gebälk mit den alten defekten Ziegeln ließ auch viel Licht herein. Da, wo das Dach noch am dichtesten war, in einer Ecke, saß das Käuzchen. Am Anfang fühlte es sich immer sehr gestört, wenn wir hier spielten und rauchten. Hinter einem Balken hatten wir eine große Zigarrenschachtel versteckt mit Pfeifen und Tabak darin. Der Vater der fünf Kinder in dem Ritterhaus gleich hinter dem Schloss Wilhelmsburg, Motz, hatte eine Zigarrenherstellung (wie im Kreis Schmalkalden fast in jedem Haus ein kleiner Betrieb war; zumeist Kleinwerkzeug und Schusterwerkzeug, was bis Amerika beliebt war), und so war es leicht, an Tabakwaren heranzukommen, zumal wir oft halfen, die Tabakblätter zu fermentieren und vorher ganz glatt auszustreichen, oder die Zigarrenspitzen in den Pressen abzuschneiden. Zu einem Zusammentreffen gehörte das Rauchen und erst dann wurde ein Spiel überlegt. Es ist aber nie einem Kind schlecht vom Rauchen geworden. Den Rauch mochte das Käuzchen überhaupt nicht.

Schloss Wilhelmsburg, Foto S. 19

Es rückte unruhig auf seinem Balken hin und her und fiepte. Sonst saß es ruhig und neugierig da und guckte uns zu. Wenn es einmal zu laut zuging und wir uns zankten und rauften, dann schlug es mit seinen großen Flügeln. Wegfliegen tat es aber nicht. Die Sache war viel zu interessant.

Im Glockenturm der Burg, wo sich auch das riesige alte Uhrwerk der Schlossuhr drehte, wohnte ein Uhu im Dachgebälk. Er wurde nie zutraulich und flog schleunigst mit angewinkelten Flügeln durch das Gebälk zu einem sicheren Platz des Dachbodens. Nachts hielt er sich nicht in unserer Nähe auf, sondern suchte sich seine Nahrung weiter weg. Erst gegen Morgen hörten wir ihn dann auf dem Heimweg rufen.

Unsere Freunde hatten Angst vor den Fledermäusen und erwarteten, dass sich doch mal eine in ihrem Haar verfing, wie das in alten Geschichten erzählt wird. Selbst erwachsene Leute fürchteten sich. Ein Mann, der meine Eltern besuchte und mit ihnen auf den Boden ging, um sich dort die wunderschönen Stuckwände anzusehen, die zum Teil noch vorhanden waren, erschlug mit seinem Spazierstock in furchtbarer Angst eine Fledermaus

und schrie, dass das ganz gefährliche Tiere seien. Obwohl ich den Mann vorher schon nicht leiden konnte, war er mir von da ab verhasst und ich ekelte mich, ihm beim Gutentagsagen die Hand zu geben.

Die Fledermäuse mussten sich beim Hinausfliegen in die Nacht durch ganz enge Ziegelspalten quetschen. Wir beobachteten sie in der Dämmerung fasziniert. Ohne ihren Flug zu unterbrechen, legten sie die Flügel zusammen und glitten durch die Ritzen. Berühren durften sie die Ritzen ja nicht, denn dann wären sie sofort verletzt gewesen. Die Tiere haben ein ganz zierliches und dünnes Knochengerüst und sie sind gegen jede Berührung hochempfindlich.

Die Mauersegler sind eine Schwalbenart, die aber so große Flügel haben, dass sie, wenn sie mal auf dem Erdboden gelandet sind, sich nicht allein freifliegen können, weil sie dazu einen großen Flügelschlag brauchen. Öfter warfen wir so einen Vogel, der sich hilflos auf der Erde drehte, einfach in die Luft, und dankbar flog er schrill kreischend davon. Sehr spät, wenn alle Flugvögel schon anfangen zu nisten, erscheinen die Mauersegler. Schleunigst legt das Weibchen Eier in Ritzen der Mauern, und dann müssen die Eltern sich beeilen, ihre Jungen unentwegt zu füttern, dass sie flügge werden, denn die Mauersegler sind auch die ersten Vögel, die wieder in wärmere Länder ziehen. In der Zeit ihres Daseins aber umfliegen sie stets gemeinsam den ganzen Tag unentwegt mit lautem, schrillem Geschrei das Schloss. Mal tiefer, mal höher. Je nachdem, in welcher Höhe die Mücken fliegen. Ich habe nie wieder so viele Mauersegler gesehen wie damals, als sie unsere Fenster umschwirrten.