Kämpfe

Kämpfe

Bis auf die Tage der Zeugnisse und des Arbeiten Schreibens ging ich ganz gerne in die Schule. Nur eins bereitete mir Angst und Schrecken: Ich konnte mich nicht wehren. Ich erinnere mich, dass wir am Pausenschluss in der Volksschule sämtlich antreten mussten. Ich ging in eine reine Mädchenschule. Fein gesittet marschierten zuerst die älteren Kinder ins Haus und die jüngsten durften als letzte sich durch die Schultüre quetschen. Nicht immer stand eine Lehrerin als Pausenaufsicht dabei, dazu wurden Mädchen der letzten Klasse bestimmt. Solch ein Mädchen piesackte mich, wo es konnte, beim Hineingehen und gerade diese wurde oft als Pausenaufsicht abkommandiert. Sie ließ mich erst in Ruhe, wenn ich ihr irgendetwas schenkte und aus diesem Grund hatte ich immer etwas Süßes in meiner Schürzentasche aufgehoben. Noch schlimmer wurde die Angst, als feststand, dass ich bald auf das Gymnasium kam. Ab da gesellte sich ein zweites Mädchen dazu und die zwei lauerten mir auf der Straße auf und verprügelten mich. Ich bemühte mich aus diesem Grund, immer einen anderen Heimweg zu gehen oder zumindest nie alleine.

Der große Tag rückte heran und ich wechselte die Schule. Aber weiß der Teufel, es dauerte nicht lange und auch hier quälte und verprügelte mich ein Mädchen, das die Statur und Wucht eines Elefanten hatte. Eines Tages war ich verzweifelt und geriet so in Wut, dass ich mich wie eine Furie wehrte und das Mädchen blutig schlug und auf dem Schulhof herum schleifte. Ab da kannte ich meine Macht und nie wieder wurde ich verprügelt. Eingedenk meiner furchtbaren Angst von früher vergalt ich aber meine Macht nicht an Schwächeren. Nur wenn jemand angegriffen wurde, fuhr ich dazwischen, und zwar warf ich mich mit dem ganzen Körper mit Anlauf auf den Widersacher und zerkratzte ihm das Gesicht.

Auf dem Schloss hatten wir eine Kinderclique von ungefähr zwölf bis fünfzehn Kindern. Meist spielten wir alle zusammen, obwohl der Altersunterschied beträchtlich war. Der Berg, auf dessen halber Höhe das Schloss lag, wurde unser Spielgebiet „die Queste“. Es gab da große Wiesen, Tannen- und Laubwald und am anderen Ende des Berges ein paar wunderschöne Tümpel. Wir fingen mit großen Sieben, die wir an eine lange Stange banden, Molche und Salamander und auf den sonnigen Abhängen suchten wir uns Eidechsen. Daheim bauten wir Terrarien und die Aquarien bekamen wir im Laufe der Zeit geschenkt. Mein Bruder legte eine Mehlwürmerzucht an, dass wir Futter hatten.

Wir bauten uns in den Büschen Burgen und versteckten da unsere Schätze. Dabei störten uns Kinder anderer Straßen, was uns nicht unlieb war, denn dann wurde es ja erst interessant. Eine Straße aber war uns sehr unangenehm: die Kinder der Bahnhofstraße. Es wohnten dort Familien mit vielen Kindern, die sich sowieso meist auf den Straßen herumtrieben aus Platzmangel in der Wohnung. Gegen diese Kinder mussten wir hart zusammenhalten, um sie zu vertreiben, was uns auch meist gelang. Wurde aber mal ein Kind unserer Clique irgendwo allein erwischt, war eine gewaltige Tracht Prügel fällig, und gedemütigt und schmutzig kam man nach Hause.

Ich musste einmal mit meinem Bruder Brot kaufen gehen. Wir liefen immer zusammen. Erstens war’s nicht so langweilig und zweitens waren auch immer gleich ein paar Brote zu schleppen. Unten am Schlossberg erwischte uns die Meute aus der Bahnhofstraße. Wir wehrten uns tapfer und guckten wild und furchterregend um uns. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass mein Bruder seine zwei Vorderzähne ausgeschlagen bekam. Glücklicherweise waren es noch Milchzähne und kurze Zeit darauf erschienen schon die zweiten Zähne. Immerhin konnten wir beide aber das Feld siegreich verlassen und zufrieden begaben wir uns auf den Brotkauf.

Unser Zahnarzt hatte seine Praxis mitten in der Stadt. Wir waren gut bekannt mit ihm, da mein großer Bruder seine Tochter heiratete; aus diesem Grund durfte ich im Behandlungszimmer aus dem Fenster gucken, bis ich drankam. Plötzlich sah ich meinen Bruder unten vorbeimarschieren. Ahnungslos war er, denn hinter ihm machte sich gerade ein Trupp Kinder aus der Bahnhofstraße bereit, ihn zu verkloppen. Ich drehte mich um, schoss zur Tür raus, rannte die Treppe runter, dem Bruder zur Hilfe. In kurzer Zeit hatte ich meinen Bruder frei geprügelt und die total zerkratzten Kinder schlichen sich davon. In der Rage hatte ich nicht bemerkt, dass sich oben der Zahnarzt samt Patient am Fenster halb kaputt lachte, und als ich wieder hinaufkam, sagten sie kein Wort. Aber diese Geschichte erzählte er später bei jeder Gelegenheit, und jedes Mal wurden es mehr Kinder, auf die ich mich gestürzt hatte.