Hühner

Hühner

Meine Eltern bekamen eines Tages von dörflichen Bekannten zwei Braten geschenkt, und zwar eine Ente und einen Hahn. Der Landwirt nahm an, dass wir ohne weiteres die Viecher schlachten könnten, und brachte sie uns lebend, dass sie auch goldfrisch wären. Etwas ratlos blickend nahm meine Mutter die Tiere dankend an. Als wir Kinder aus der Schule kamen, baten wir darum, die zwei Vögel noch ein paar Tage leben zu lassen, und gewöhnten sie in ganz kurzer Zeit an uns, dass wir sie auch bald mit in den Garten nehmen konnten. Von da ab beherrschte das Gespann unseren Gemüse- und Blumengarten. Sie machten nicht sehr viel kaputt und deshalb wurden sie der Stolz unserer Familie.

Ich will ja dem Landwirt nichts Böses nachsagen, aber jedes Tier hatte seinen gewaltigen Fehler. Die Ente quakte unausgesetzt und humpelte ganz mächtig mit einem Bein, dass der Watschelgang immer nach rechts einknickte. Der Hahn besaß zwei verschiedene Augen und krähte unentwegt. Dabei fraßen sie enorm, nahmen aber wegen der ständigen Bewegung nicht zu. Am liebsten saß der Hahn ganz oben in einem der zahlreichen Haselnussbäume oder auf den untersten Zweigen der Blautannen und krähte und krähte zur Freude der vorbeigehenden Passanten. War der Hahn auf einen Baum geflogen, und zwar oft so hoch wie nur die Singvögel, dann setzte sich die Ente ergeben und geduldig genau darunter und quakte und quakte. Das Duett war vollkommen. Eines Tages im Herbst ließ meine Mutter die zwei Tiere dann aber doch von unserem Nachbarn schlachten, und obwohl wir recht traurig waren, schmeckten uns die Braten vorzüglich.

Die Zeiten wurden schlechter und einmal auf den Geschmack gekommen, beschlossen die Eltern, Hühner anzuschaffen. Es war nun nicht so, dass wir beliebig Hühner kaufen konnten. Der Zweite Weltkrieg war ausgebrochen und wir mussten schon allerlei tauschen, um in den Besitz von Hühnern zu kommen. Das besorgte meine Mutter bei den paar Bauern, die ihren Hof in der Nähe vom Schloss hatten. Sie bekam an verschiedenen Stellen ein Huhn, und so hatten wir am Ende von jeder Hühnersorte eins und konnten später feststellen, wie verschieden groß und gefärbt die einzelnen Gattungen ihre Eier legten und wie oft.

Wenn ich mich recht erinnere, durfte man pro Person ein Huhn halten und bekam ab da keine Eiermarken mehr, auf die es in Perioden Eier zu kaufen gab. Wir waren nun also bestrebt, den Hühnern das Futter zu geben, dass sie überdurchschnittlich Eier legten, und es gelang großartig, trotz der Nicht-Kenntnis. Ein bekannter Zimmermann baute ein großes Gehege aus Latten vor den Fenstern eines Raums neben unserer Waschküche. Dieser Raum hatte Sandfußboden und in ihm stand eine uralte Feuerwehrwasserspritze. Solch eine von der Zeit, wo das Wasser in einen Bottich inmitten der Pumpe geschüttet und von Hand durch vier Feuerwehrleute an jeder Seite herausgepumpt wurde. In eine Ecke des riesengroßen Raums stellte meine Mutter ein paar Kistchen mit Stroh, öffnete die beiden vergitterten Fenster, und fertig war der Hühnerstall. Die Hühner setzten sich nachts auf das Gestänge der Spritze und legten, artig wie sie waren, ab sofort ihre Eier in die Kästchen.

Wir Kinder machten uns mit unserem Vater auf Wanderschaft, um in den Mühlen ringsum Futter für die Hühner zu kaufen oder später einzutauschen. Solange die Hühner im Ferch bleiben mussten, also die Sommermonate über, was meine Eltern immer sehr abkürzten, schnitt mein Vater mehrere Male am Tag Gras klein für die Hühner und warf es ihnen zu. In Kürze war es aufgefressen. Damals gab’s noch enorm viele Maikäfer, dann die kleinen Junikäfer und die weit größeren Käfer als die Maikäfer, die Julikäfer. Alle gleich braun. Diese Käfer sammelten wir und die Hühner stürzten sich auf sie und hatten in Kürze nur noch die Schalen der Käfer übriggelassen. Die meiste Zeit des Jahres aber durften die Hühner im Garten rumlaufen und auch raus auf den vorbeiführenden Weg und die Wiesen um das Schloss herum. Meist aber hielten sie sich im Garten auf. Mein Vater trocknete sämtliche übriggebliebenen Knochen auf dem Backofen in der Küche, nahm ein umgedrehtes Beilchen und zerstampfte diese Knochen auf der Mauer, die rings um den Garten lief. Im Laufe der Jahre hackte er richtige Dellen in den Stein. Die Hühner liebten meinen Vater sehr, da sie, wenn er erschien, jedesmal Leckerbissen erhofften. Kam er mit dem Beil, konnte er kaum laufen, geschweige denn hacken, so nah rückten sie ihm auf den Leib. Sie fraßen das Knochenmehl leidenschaftlich gern und dankten es mit einem herrlichen Eiersegen. Besonders ein schwarzes Huhn legte Eier wie Gänseeier. Allerdings nur alle zwei Tage, während die anderen alle anderthalb Tage eins legten, aber gewichtsmäßig wog dieses große Ei weit mehr auf. Zwei Rhodeländer waren dabei, die jeden Tag Eier legten. Sie waren aber kleiner als die der weißen Hühner.

Meine Mutter versuchte mit der Zeit auch einen Hahn anzuschaffen. Der erste war aber gleich so ein verrückter Kerl, dass er den lieben langen Tag unausgesetzt nur hinter einem Huhn her war, und man sah die beiden unentwegt hintereinander herflitzen. Der Hahn mit vorgestrecktem Kopf und weit schlagenden Flügeln, die Henne kläglich gackernd. Sie wurde dann krank und musste getötet werden. Der Hahn wurde gegessen, weil er sowieso zu viel fraß ohne einen Nutzen. Gluckte ein Huhn und es sollte Kücken ausbrüten, tauschte meine Mutter einfach Eier von einem Bauernhof mit Hahn. Sollte die Glucke nicht brüten, kam sie mehrere Tage unter einen Weidenkorb ohne Fressen und Trinken. Hatte man die Härte, das Tier möglichst lange darunter zu lassen, so hatte es aufgehört zu glucken. Es stürzte sich auf Fressen und Wasser und legte in kurzer Zeit wieder Eier. Am Anfang tat uns das Tier immer leid und wir holten es zu früh unter dem Korb hervor. Dann hatte es die Gluckzeit noch nicht abgelegt und saß ständig auf einem Nest und wollte Eier ausbrüten und fraß weiterhin kaum. Sie musste dann ein zweites Mal unter den Korb und das Tier hatte viel mehr zu leiden und wurde weitaus magerer. Die Hühner glucken lassen ging nicht, denn das dauert viel zu lange und der Eierverlust ist enorm.

Eines Nachts schlüpfte der Iltis, der an der Kleinen Pfalz wohnte, in den Hühnerstall und töte mehrere Tiere. Im Garten hatte er sich noch nie an den Tieren vergriffen, obwohl wir wussten, dass er am Gartenende lebte. Ab da wurden die Fenster nachts geschlossen im Hühnerstall und der Iltisbau ständig mit Wasser überschwemmt, bis das Tierchen verschwand.

Die erste kurze Zeit meiner Ehe wohnten wir noch bei meinen Eltern. Auch mein Mann wollte natürlich Hühner anschaffen und tauschte vier halbgroße gegen zwei Fahrradschläuche ein. In einer Pappschachtel brachten wir sie nach Hause und ließen sie, es war schon gegen Abend, in dem Pferch heraus. Im Handumdrehen waren die Hühner verschwunden, denn sie passten noch genau zwischen den Latten durch. Eine wilde Jagd begann, um die Vögel wieder einzufangen, und in ihrer Angst flogen sie die hohe Mauer hinunter in einen großen Abhanggarten, der unten an einem Teich endete. Die gesamte Familie lief also auf Hühnerjagd, und ein Gerenne und Gehetze begann, bis die Viecher tatsächlich schon im Dusterwerden von den zerkratzten und verschmutzten Familienmitgliedern eingefangen waren. Die Hühner gewöhnten sich schnell aneinander, und meine Mutter wusste genau, welches Ei von welchem Huhn gelegt wurde. Nachdem zwei Hühner ihre Eier mehrere Male im Garten gelegt hatten, fühlte meine Mutter morgens die Hühner ab, wie tief das Ei schon lag. Musste es bald gelegt werden, brachte sie die Tiere in den Stall zurück, und sie ließen es sich ohne weiteres gefallen.

Als nach dem Krieg die Russen kamen und eben auf diesem Hang an dem Teich kampierten und später das neben dem Teich liegende Gefängnis belegten, kamen oft Patrouillen und durchsuchten unsere Wohnung und Garten. Meine Mutter wurde immer gut mit den jungen Leuten fertig, und so bestellten zwei Russen sich auch einmal Kücken. „Gut“, sagte meine Mutter, „aber dann brauch ich Futter“, und die beiden jungen Männer erschienen täglich, brachten Brot mit, was anderes hatten sie auch nicht, und guckten nach ihrer Glucke. Als die Kücken dann ein paar Wochen alt waren, nahmen sie sie mit hinunter in den Gefängnisgarten, wo wir reingucken konnten vom Fenster aus. Aber bald wurden die Soldaten versetzt und weit schärfere erschienen, die nicht mehr so leutselig waren.

Schmalkalden, 16. Februar 76