Das Museum

Das Museum

Als wir Anfang der dreißiger Jahre unsere Wohnung im Schloss bezogen, war in dem auch hier befindlichen Museum noch nicht allzu viel zu bewundern. Wir Kinder liebten es aber, durch die großen Räume zu streifen mit dem eigenartigen Geruch von altem Holz und Stoff. Die Hauptattraktion bildete eine dunkelbraune, fast schwarze kleine Mumie. Der jeweilige Museumsführer berichtete, dass es eine Königstochter sei. Das interessierte uns wenig. Weit neugieriger machte uns der Gedanke, wie man über so viele Jahrhunderte die Stoffbinden, in die der Mensch eingewickelt wurde, haltbar machen konnte.

Drei Guckkästen konnte man in einem weiteren Raum bewundern. Es waren langgestreckte viereckige Röhren aus rohem Holz, die nach vorne sich konisch erweiterten. Blickte man hindurch, so sah man plastisch alte Stiche. Meist unter Bäumen dahinwandelnde Personen. Die Frauen in ihre Krinolinen und alle mit einer Perücke oder irgendwelche Jagdszenen waren dargestellt. Mehrere Räume des Museums enthielten alte Möbel. Meist rohes Holz, aber auch mit Bemalungen. Ein großes Bauernhimmelbett zog mich am meisten an. Es hatte die Größe der heutigen französischen Betten. Die gedrechselten Streben nach oben liefen in einem geschnitzten Tierkopf aus und am Himmel hingen, gerafft, alte zerschlissene Seidenvorhänge. Nicht zu den Vorhängen passte das später hineingelegte karierte Bettzeug, das wahrscheinlich die Bauernnote unterstreichen sollte. Das Schönste am ganzen Bett aber war eine steife, geschnitzte Holzpuppe, die darin lag. Derartige Puppen und Porzellangliederpuppen konnte man in einem weiteren Zimmer bewundern nebst alten hessischen Trachten, die zum Teil in Glasschränken untergebracht waren, zum Teil auf Gestellen hingen. Ein weiterer Raum war, wie in jedem Museum, alten Uniformen und Fahnen gewidmet. Auch neu zurechtgemachte alte Möbel, meist Leihgaben irgendwelcher Familien, waren zu besichtigen, eine Steinsammlung mit allerlei Versteinerungen, Porzellan und mehrere Säle.

Schloß Schmalkalden, der Innenhof mit einem Blick auf die Stadt durch das Tor. Rechts die Tür im Turm führt über eine Wendeltreppe zum Museum.

Der „Blaue Saal“ wurde noch benutzt und war daher renoviert. Lange Zeit hatte sich ein Maler namens Kienzel damit beschäftigt, die Wand- und Deckenbemalung wieder in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Es war Pfusch, alles blätterte ab. Der Riesensaal hatte dieselben Bemalungen, aber diese wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg renoviert. In dem Saal standen Truhen und, als besonderes Prunkstück, ein großer Eisenofen, bestehend aus alten gegossenen Platten, die jeweils eine Geschichte darstellten. Neben dem Ofen führte eine Tür in die Diele unserer Wohnung. Sie war natürlich immer verschlossen.

Frau Kilb, die Musemsführerin, kommt gerade aus ihrem Garten.

Fast zuletzt wurde man in den Exerzierraum geführt. Ein Raum, der, im Parterre, eine ganze Seite des Schlosses einnahm. Hier, so vermute ich, mussten früher die Soldaten bei schlechtem Wetter exerzieren. Jetzt enthielt dieser Raum alte Rüstungen, Kanonen, Lanzen und so weiter. In einer Ecke hatte man eine alte Schmiede aufgebaut mit einem Blasebalg, der noch mit den Füßen zu treten war. Wir Kinder liefen bei Museumsbesuchen immer voran und knipsten ein elektrisches rotes Birnchen an, das das Schmiedefeuer darstellte.

Von Zeit zu Zeit wurden die Sehenswürdigkeiten umgestellt und nicht mehr Brauchbares wanderte auf den Schlossboden. Dort lagen wunderschöne alte Putten verstaubt herum, geschnitzte Holzflötentöne der Kirchenorgel, wiederum gußeiserne Ofenplatten jeder Menge und eine Nachbildung der Stadtkirche in der Größe eines Kubikmeters. Mit dieser Kirche spielten wir oft, aber obwohl sie ganz blieb, verkam sie dort im Staub und Dreck, nur umflogen von unzähligen Fledermäusen, vollkommen.

Als letztes des Museumsganges betrat man die alte kleine Schlosskirche. Ein großer Teil der Wandbemalung war hier weiß übermalt, aber die alten Farben drangen mit ihrer Beständigkeit durch jede Bemalung, und so konnte man die Umrisse der Gestalten gut erkennen. Viel Stuckarbeit kann man an den zwei Emporen bewundern und den aus einem Block bestehenden Altartisch. Die uralte, grotesk bemalte Orgel wurde von der übrigen Kirche durch zwei Türen getrennt. Aber wir wussten, wo der Schlüssel lag, und außerdem konnten wir über die Emporengeländer klettern. Die Orgel besaß kunstvoll geschnitzte Elfenbeintasten, und hinter den Orgelpfeifen (ganz aus Holz) war der mächtige Blasebalg angebracht, den während des Orgelspiels ein Kind unausgesetzt treten musste. Mein großer Bruder Rudi konnte mächtige ausgedachte Oratorien spielen, dass das gesamte Kirchlein widerhallte, oder er spielte die neusten Schlager, die er aber so in Tonleitern einhüllte, dass man sie kaum von einem Kirchenlied unterscheiden konnte.

Die zweite Empore hatte wiederum eine Tür, die in unseren Weißen Saal führte. Auch diese war verschlossen, aber Vater hatte dafür einen großen Schlüssel. Fast alle Türen des Schlosses besaßen noch ihre uralten Schlösser und die dementsprechenden riesigen verzierten Schlüssel. Dem Museum angeschlossen war eine alte Bibliothek. Diese zu ordnen und zu überwachen nebst den Museumschätzen, wurde meist ehrenamtlich einem Lehrer übertragen. Wir Kinder verstanden uns mit den jeweiligen Bibliothekaren recht gut und sie erklärten uns geduldig mancherlei Seltsames. Von einem dieser Lehrer bekam mein Bruder einen wunderschönen alten weißen Sonnenschirm, ganz aus dünner Seidenspitze, geschenkt. Der Griff war ein geschnitzter Elfenbein-Reiherkopf. Ich bekam eine Krinoline vermacht. Beglückt reihten wir diese Neuerwerbungen in unsere Kostümsammlung ein, und mit alter Kleidung und Fächern unserer Großmutter hatten wir eine wahrhaft kostbare Sammlung. Das wussten wir aber damals noch nicht.

Im Laufe der Zeit wurden meine Eltern immer mehr bedrängt, aus ihrer Wohnung auszuziehen. Aus den Gärten sollten die üblichen Parkanlagen entstehen und unsere Wohnung sollte Museum werden. Mein Vater wehrte sich standhaft, zumal überhaupt kein Vorrat vorhanden war, der in diese Zimmer zu stellen war. Auch in unserer Küche, in Zimmern und Diele leuchteten die alten Wandbemalungen durch die übertünchte Farbe. Bis eben da, wo tapeziert war. Mein Bruder wusch im Laufe der Zeit diese Bemalungen frei und renovierte sie. Ein paar Jahre nach dem Krieg hat es ein „Kulturmensch“ dann aber geschafft, meine Eltern aus der Wohnung zu jagen. Sie ist nun auch Museum und in jedem Zimmer kann man in Kästen und Tischen eine andere Sammlung bewundern: Steine, Münzen, Schriften.